– Ein Gastbeitrag von Philipp Hermen

Vor genau 9 Jahren stand ich vor der Wahl: Soll ich in die Oberstufe wechseln oder einen Ausbildungsberuf erlernen? Völlig orientierungslos fiel mir die Entscheidung im Dschungel aller Möglichkeiten unheimlich schwer. Genauso geht es derweil über 80 Prozent aller Schüler, die Jahr für Jahr auf das Ende ihrer Regelschulzeit zusteuern.

Heute möchte ich junge Menschen dazu ermutigen, sich wieder intensiver mit einer Berufsausbildung zu befassen und die Vorteile für das Berufs- und Privatleben in den Vordergrund stellen.

Warum ich persönlich explizit für eine Berufsausbildung nach der Schulzeit plädiere? Weil ich vergleichen kann. Ich habe beide Wege durchlaufen. Nach der Realschule habe ich zunächst einen Beruf erlernt, eignete mir hierbei wichtige Alltagskompetenzen an und gewann Erfahrungen, die mich motiviert haben, mit völliger Überzeugung zur Schule zurückzukehren. Über den Weg der Berufsfachschule, beruflicher Stationen bei einem deutschen Sportwagenhersteller im In- und Ausland bis hin zum Masterabschluss, war die Berufsausbildung jedoch DER Initiator für nahezu alles in meinem Leben.

Meinem Herzensthema „Mut zur Berufsausbildung“ habe ich nebenberuflich ein Buch gewidmet. Ich möchte junge Menschen und deren Eltern, Lehrerinnen und Lehrern und vielen weiteren all die tollen Mehrwerte und Möglichkeiten einer Berufsausbildung an die Hand geben – und das auf Augenhöhe.

Denn damals hat wirklich niemand an mich geglaubt. Mit schlechten Noten war ich bei den Lehrern unten durch, meine Mutter ist an mir verzweifelt und selbst ich habe mich irgendwann beinahe aufgegeben. Heute arbeite ich erfolgreich in einem renommierten Automobilkonzern und habe auf diesem Weg, dank der Berufsausbildung, alle Musterschüler von damals hinter mir gelassen.

Wenn ich heute mit jungen Menschen und/ oder deren Eltern spreche, habe ich immer das Gefühl, ein Studium sei erstklassig und die Berufsausbildung lediglich der trübe Kaffeesatz. Das will, kann und das werde ich nicht länger akzeptieren! Denn in mir hat die Berufsausbildung nicht nur einen Stein ins Rollen gebracht, sondern eine ganze Lawine an energetischer Motivation. Auf meinem Weg hierhin habe ich eine Sache gelernt: Eine Berufsausbildung ist eine Abkürzung, kein Umweg!

Denn mit knapp 16 Jahren haben wir bis dato immer brav in der Schule gesessen doch um ehrlich zu sein, keine Ahnung von der echten Arbeitswelt. Völlig normal. Im Studium haben Kommilitone teilweise im vierten oder sogar noch im fünften Semester abgebrochen und festgestellt, dass es nicht das ist, was sie wirklich wollen. Das spannende war: Es waren fast ausschließlich die Studenten, die den wichtigen Baustein Berufsausbildung ausgelassen hatten und oft orientierungslos erstmal der Masse hinterhergerannt waren. In einer Berufsausbildung erlangst du Klarheit über das, was du möchtest oder vielleicht auch nicht möchtest und handelst im Anschluss aus absoluter Überzeugung aufgrund deiner eigenen Erfahrungen und mit einem starken Willen – den viele durch das Auslassen der Berufsausbildung nicht haben.

Dabei ist es erstmal völlig egal, welche Ausbildung du erlernst, denn in allen wirst du auf diese 6 fundamentalen Mehrwerte der Berufsausbildung, sprich deine persönliche Abkürzung treffen:

Lass uns mal exemplarisch den Punkt „Kollegen“ rauspicken, denn dieser katapultiert dich so richtig an all den Musterschülern vorbei. Warum? In der Berufsausbildung wirst du mit grenzender Wahrscheinlichkeit der Jüngste im Unternehmen oder im Betrieb sein. Du hast vermutlich einen Chef, der ist vielleicht 54 Jahre. Drei Angestellte, 48, 39 und 28 Jahre und einen Gesellen 19 Jahre, der die Ausbildung letztes Jahr erfolgreich beendet hat. Alle fünf Kollegen sind älter, reifer und haben unterschiedliche Erfahrungen über die Zeit gesammelt, mit der sie die unterschiedlichsten Situationen -nicht nur im Berufsalltag- angehen. Davon kannst du profitieren und musst nicht mal etwas dafür tun. Wir Menschen beobachten gerne und übernehmen ganz unbewusst bestimmte Verhaltensweisen anderer, die uns nahe sind. Bedeutet, du gewinnst ohne großes zutun dank deiner Kollegen an Reife und meisterst schwierige Situation deutlich souveräner als Menschen in deinem Alter, die die Berufsausbildung leider verpassen. Denn es ist ein Unterschied im Reifeprozess, ob du acht Stunden am Tag im kommunikativen Umgang mit „älteren“ Kollegen und Kunden bist, oder dich den ganzen Tag mit gleichaltrigen über „Bruder“ oder „Ehrenmänner“ unterhältst.

Lass uns beispielhaft einmal auf die Ausbildung eine(s) Automobilkaufmann:frau schauen. Was sind die Aufgaben und Schnittstellen, die du in den zweieinhalb Jahren erfahren wirst? Einige werden dir sicher direkt einfallen, mit anderen hast du vermutlich im ersten Moment gar nicht gerechnet:

Zusammengefasst: Jede Berufsausbildung ist weitaus vielfältiger, als du im ersten Moment vermuten magst. In dem genannten Beispiel findest sind du sicher einige Aspekte wieder, die auch du mit dem Beruf Automobilkaufmann:frau verbinden würdest. Dennoch hat jeder Beruf auch Schnittstellen zu weiteren Aufgaben, wie in dem Beispiel vielleicht zur Werkstatt im Autohaus. Auch hier müssen der Verkauf und der Service eng abgestimmt sein und Abläufe / Prozesse im Autohaus aufeinander anpassen. Erst durch das bewusste erleben und hinterfragen, verstehen wir die Komplexität in bestimmten Abläufen klarer. Daraus kann ein ganz neuer Blickwinkel- und ein weiteres oder ganz neues Interessensfeld bei dir entstehen.

Was ich persönlich sehr schade finde, ist die Entwicklung hinsichtlich der Wahrnehmung einer Berufsausbildung in unserer Gesellschaft. Immer weniger junge Menschen befassen sich mit einer Berufsausbildung oder ziehen diese ernsthaft in Erwägung. Dabei war diese für mich persönlich der Startschuss auf meiner Reise und hat mich an allen Musterschülern vorbeikatapultiert. So wurde “Mut zur Berufsausbildung” zu meinem Herzensthema, mit Impulsen auf Augenhöhe, die ich mir damals so sehr gewünscht hätte.

In den letzten Jahren habe ich mich sehr verändert und für mich erkannt, dass nur ich alleine das Lenkrad in der Hand und den Fuß auf dem Gaspedal meines Lebens halte. Vor rund 2 Jahren wurde ich einmal gefragt, wo es bei mir damals „klick“ gemacht hat. Sicher hatte sich meine Mutter diesen Moment gewünscht, als ich 15 Jahre alt war, doch ich habe etwas länger gebraucht. Letztendlich habe ich für mich festgestellt, dass dieser “Klick-Moment” in der Berufsausbildung stattfand. Von diesem Moment an bis heute ist viel passiert, Vieles was niemand und selbst ich nicht für möglich hielt. Ich absolvierte freiwillig das Fachabitur, gewann tolle Einblicke und wichtige Erfahrungen bei einem deutschen Sportwagenhersteller im In- und Ausland und verbrachte letztlich sogar Teile meines Masterstudiums in Asien. Und das alles, obwohl ich damals konsequent fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn die Hausaufgaben bei den Strebern abschrieb.

Nachdem ich nun angekommen bin und meinen Weg für mich gefunden habe, möchte ich Dir Mut zusprechen und meine Erfahrungen mit Dir teilen.

Daher lade ich dich herzlichst ein Kontakt zu mir aufzunehmen und all die Musterschüler hinter dir zu lassen. Das geht, glaub es mir!

Dein Philipp